Vorab: Ich möchte in diesem Artikel in keinem Fall irgendjemandem auf die Füße treten, oder suggerieren, bestimmte Familienmodelle wären „besser“ als andere. Ich möchte lediglich von unserer Situation, den Hintergründen und den Konsequenzen berichten.
Na das fängt ja gut an, da hat man schon keine Lust mehr zu lesen, oder?
Warum schiebe ich diese Erklärung vorweg? Weil ich das Thema selbst ein wenig heikel finde und es auch absolut nicht mag, wenn jemand allgemeingültige Empfehlungen für Familien ausspricht. Jede Familie ist unterschiedlich und sollte deshalb auch ihren eigenen Weg gehen. Was ich allerdings so unendlich wichtig finde: Uns allen darf bewusst sein, dass wir uns für bestimmte Situationen und Modelle entscheiden. Klar, die Voraussetzungen sind überall unterschiedlich, doch gerät niemand zufällig in die Situation, in der er/sie gerade ist.
Also, da ich meine Arbeit wahnsinnig gerne mag und sie außerdem selbst in Vollzeit keine 5-Tage-Präsenz mit sich bringt, während mein Mann in den letzten Jahren einfach unendlich viel gearbeitet hat, die Pause gerne annimmt und seine Arbeit in Vollzeit eher sechs Abende beinhaltet, als fünf haben wir uns dafür entschieden, dass er länger in Elternzeit geht als ich.
Allerdings: Die ersten vier Monate nach der Geburt unseres Babys haben wir beide nicht gearbeitet und zwei davon haben wir sogar gemeinsam im Urlaub, in Griechenland verbracht – okay, vier Tage habe ich schon von dort gearbeitet – also nicht nuuur Urlaub. Während der Zeit habe ich ab und zu die Frage bekommen, wie wir uns das leisten könnten, beziehungsweise habe ich auch gehört: Das muss man sich erst mal leisten können. Ja. Na klar, doch hier geht es los mit den Entscheidungen, den Prioritäten und den Konsequenzen:
Letzten Winter, während der Schwangerschaft bin ich von September bis Dezember vier mal in der Woche mit einem Brecheimer auf dem Beifahrersitz zu Fortbildungen gefahren, weil ich so unter Schwangerschaftsübelkeit gelitten habe und gleichzeitig einen finanziellen Puffer für die ersten Monate Babyzeit schaffen wollte. Mein Mann hat selbstverständlich genau so Vollzeit gearbeitet, also wie gesagt, in der Regel 5-6 Abende – Er ist in der Gastronomie tätig. Was habe ich mir in dieser Zeit gewünscht, angestellt zu sein und mich „einfach“ krank melden zu können. Warum sage ich das? Aktuell ist mein Job, der häufig noch online stattfindet und keine fünf Tage umfasst für mich ziemlicher Luxus, damals war es alles andere als das. Die Aussage „Na ja, da hast du eben Glück mit deinem Job“ ist zwar total wahr, aber eben auch nicht absolut allgemeingültig, es war nämlich wirklich teilweise die Hölle. Dennoch haben wir das so durchgezogen, weil uns diese vier Monate im Sommer dieses Jahr so wichtig waren.
Im Übrigen: Wir fahren auch nach wie vor mit einem kleinen, dreitürigen Polo durch die Gegend, kaufen wirklich nur die nötigsten Klamotten für unser Baby, gehen kaum Essen, oder bestellen etwas nach Hause, wir achten immer noch stark auf das Geld, weil wir das zum Beispiel im Sommer kaum gemacht haben. Unsere Priorität ist, dass wir viel schöne Zeit zu dritt haben. Ich glaube, man merkt unserem Baby an, dass er es unheimlich genießt, dass wir Beide da sind und wir selbst sind natürlich viel entspannter, weil wir uns immer mit allem abwechseln können. Ich wiederhole: Natürlich gibt es viele Familien, die unbedingt auf die Erwerbstätigkeit angewiesen sind, das weiß ich – und da sehe ich ein Problem im System, das Eltern nicht ausreichend unterstützt. Gleichzeitig gibt es auch genug Elternpaare, die beruflich ein wenig zurücktreten könnten, es aber nicht tun, weil das teure Haus, das teure Auto, die vielen Klamotten, der neuste Fernseher etc. abbezahlt werden muss. Ich versuche diese Art des Lebensentwurfs jetzt auch nicht zu verurteilen, doch ich sage: Das ist eine Entscheidung, die bewusst getroffen wird und die jedes Elternpaar für sich treffen muss:
Was sind die Prioritäten? Und welche Entscheidungen werden auf Kosten der Kinder getroffen?
Na ja, also konnten wir es uns also leisten, vier Monate rund um die Uhr zusammen zu sein und die schönste Zeit überhaupt zu haben. Danach ging es aber natürlich ähnlich weiter. Der finanzielle Puffer reichte, doch dann musste ein neuer her, das bedeutet, ich habe im Oktober und November wieder super viel gearbeitet – jetzt mit Baby. Habe ich ein schlechtes Gewissen dabei? Nora Imlau erzählte in ihrer Instagram Story vor Kurzem, dass sie das gefragt wurde und auch ich habe solche Nachrichten bekommen. NEIN! Ein schlechtes Gewissen hatte ich keinesfalls. Gleichzeitig fiel es mir lange nicht so leicht, arbeiten zu gehen, wie ich das vor der Geburt geahnt habe. Ich vermisse den Kleinen immer noch jedes Mal wahnsinnig doll.
Und hier komme ich zu den Rollenklischees: Wie viele Mütter haben schon gesagt, oder gehört, dass sie ihr Baby „allein“ lassen, wenn sie privat, oder beruflich unterwegs sind? Ich habe es schon an so vielen Stellen gehört und greife mir jedes Mal an den Kopf.
Das Kind ist nicht allein, es ist bei seinem Vater! (In einer Mann-Frau Beziehung)
Einerseits tut mir mein Mann leid, wenn seine Existenz durch solche Sätze quasi abgesprochen wird und gleichzeitig macht es mich irre wütend, dass die Rollenverteilung immer noch so häufig als notwendig und normal erwartet wird. Mein Mann ist ein toller Vater, doch hat er das so viel häufiger gehört, als ich, dass ich eine tolle Mutter bin. Weil er nämlich für die gemeinsame Zeit in den Himmel gelobt wird, während es von mir als selbstverständlich betrachtet wird. Das sollte doch in 2022 wirklich nicht wahr sein!
Ja, mir sind die Unterschiede nach der Geburt auch bewusster geworden. Diese emotionale, wahrscheinlich hormonell bedingte, auch einfach körperliche Geschichte zwischen Mutter und Kind, die natürlich durch das Stillen (wenn gestillt wird) noch verstärkt wird, die ist schon krass. Gleichzeitig sollte sie Männer nicht ausschließen und muss es auch nicht.
Stand jetzt ist unser Baby genau so gern bei seinem Papa wie bei mir, weil er genau so viel Zeit mit ihm verbringt wie mit mir und uns ist das wichtig. Und ich kenne sogar Kinder, die sich beispielsweise von ihrem Papa eher beruhigen lassen, weil sie sich bei ihm sicherer fühlen. Vielleicht liegt es verstärkend daran, dass ich früh ohne einen präsenten Vater aufgewachsen bin, dass mir so wichtig ist, dass mein Mann genau so in die Betreuung eingebunden ist wie ich, doch ich glaube es ist keine Überraschung, wenn ich behaupte, dass es allen Beteiligten gut tut, wenn die Bindung zwischen Papa und Baby gefördert wird. Denn das muss sie vielleicht, weil sie biologisch bedingt eben nicht so stark ist, wie die zur Mutter.
Worauf möchte ich jetzt mit diesem, etwas längeren Beitrag hinaus?
Ich finde es ätzend, wie die Rollenerwartungen der Gesellschaft sind, ich wünschte mir für alle Familien mehr finanzielle Unterstützung, damit eben mehr Familien mehr Zeit gemeinsam mit ihren Kindern haben können, ohne finanzielle Schwierigkeiten zu bekommen und ich möchte verdeutlichen, dass wir gleichzeitig alle die Verantwortung dafür tragen, wie wir unseren Alltag gestalten. Denn es ist einfach zu sagen, dass in der Gesellschaft bezüglich der Geschlechterrollen etwas passieren muss. Im Kleinen, in unseren Beziehungen liegt dieses „passieren“ eben in unserer Hand. Es geht immer um das Abwägen von Prioritäten, das Treffen von Entscheidungen, das Leben mit den Konsequenzen und das Übernehmen von Verantwortung – meine Meinung
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