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Meine Erfahrungen mit der Geschlechterfrage während der Schwangerschaft

Meine Fortbildungen zum Thema Geschlechtersensible Pädagogik beginne ich in der Regel mit der Frage: Wann beginnt die Ungleichheit zwischen Jungen und Mädchen? Meistens lauten die Antworten dann so: „Ich glaube echt schon in der Krippe.“ „Nee, sogar noch früher, eigentlich ab der Geburt. Mit dem ganzen rosa und blau.“ Ich frage dann gern: Was ist eine der ersten Fragen, die werdende Eltern noch während der Schwangerschaft gestellt bekommen? Genau „Was wird es denn?“

Die ungleiche – und ich sage hier noch nicht ungerechte – Behandlung von Jungen und Mädchen beginnt also im Grunde mit dem positiven Schwangerschaftstest.

Da ich nun gerade selbst schwanger war und einige Erfahrungen in diese Richtung machen durfte, möchte ich gerne einige davon teilen.  Vorerst möchte ich unbedingt dazu sagen, dass das meine Erfahrungen, mein Empfinden, meine Haltung und meine Sichtweise ist. Wie bei allen anderen Themen rund um Schwangerschaft und Erziehung gilt natürlich immer: Solange von Gewalt abgesehen wird, sollen das bitte alle Eltern genauso machen, wie sie es für richtig halten. Vielleicht ist der ein oder andere interessante Gedanke für Dich dabei 🙂

Da das Thema Geschlechtersensibilität für mich also ein besonders wichtiges Thema ist, war klar, dass es auch in Bezug auf ein potenzielles eigenes Kind eines Tages wichtig sein wird. Schon immer war mir und meinem Mann klar, dass wir auf neutrale Kleidung setzen werden, so lange die Entscheidung noch bei uns liegt und das Kind nicht eigene Wünsche äußern kann, doch zuerst stand ja noch die entscheidende Frage im Raum: Was wird es denn?

Ich hatte zu Beginn den Wunsch, dass wir uns das Geschlecht gar nicht verraten lassen, um bis zur Geburt in allen Bereichen vollkommen unvoreingenommen zu sein. Da mein Mann jedoch Pandemie-bedingt bei keinem Arzttermin dabei sein konnte, hatte er zu Beginn den Eindruck, für ihn würde die Schwangerschaft und die Tatsache, dass wir ein Baby bekommen, realer, wenn er das Geschlecht wüsste. Ich konnte das gut nachvollziehen und war bereit, das Geschlecht zu erfahren.

Vielleicht lag es daran, dass um uns herum in den letzten Jahren fast ausschließlich Jungen geboren wurden, wir hörten von Anfang an Sätze wie „Ich glaube ja es wird ein Mädchen.“ „Wenn es ein Mädchen wird, kann sie ja unseren Sohn heiraten“ usw.

Das sind natürlich alles Witzeleien, die es meiner Meinung nach auch nicht zu kritisieren gilt und dennoch passiert dadurch etwas, was im Bereich Gender und Geschlechtererwartung immer wieder so auffällig ist: Es entstehen unweigerlich innere Bilder, die geprägt sind von Erwartungen und festen Vorstellungen. Diese Erwartungen sind nicht wirklich ernst und dennoch sind sie irgendwo da und prägen – meiner Meinung nach – das Bild des Kindes, das zu diesem Zeitpunkt noch hauptsächlich aus Zellen besteht.

Ich selbst wurde auch immer wieder gefragt, was denn mein „mütterliches Gefühl“ sei, was ich mir wünschen würde und ich sah selbst immer wieder zu, dass ich da so unvoreingenommen, wie irgendwie möglich bliebe. Ich wusste, dass es uns leichter fallen würde, einen Namen für ein Mädchen auszusuchen, doch das war bis dato mein einziger Bezug zu dem Thema. Und dann kamen die Ultraschalltermine.

Beim ersten Mal, als man das Baby wirklich als kleinen Menschen erkennen konnte, lag es nur auf der Seite, sodass man absolut kein Geschlecht sehen konnte. Ich fand das noch nicht so ungewöhnlich, schließlich war es noch relativ früh in der Schwangerschaft. Es folgte der zweite Termin, bei dem das Baby zu einer Kugel zusammengerollt war und lediglich ein ausgestreckter Arm mit einem in die Höhe gestreckten Daumen zu sehen war. Hier lachte ich dann schon ein wenig und freute mich, dass das Baby meinen ursprünglichen Wunsch, nichts über das Geschlecht zu wissen, erfüllte. Beim dritten Ultraschall, als ich nun wirklich davon ausging, das Geschlecht zu erfahren, bekamen, hörten wir nur, dass das Gehirn des Babys schön entwickelt sei, denn ansonsten war absolut gar nichts zu erkennen.

Ich weiß gar nicht mehr, in welcher Woche der Schwangerschaft ich zu dem Zeitpunkt angekommen war, in jedem Fall war es doch ungewöhnlich, das Geschlecht noch nicht zu wissen und in der Zwischenzeit war etwas passiert, was ich, bzw. wir als unglaublich bereichernd erlebt haben. Ja, wir hatten noch keinen Namen, aber ansonsten fühlte es sich unglaublich schön an, beim Gedanken an das Baby eben wirklich an „das Baby“ zu denken und überhaupt keine Erwartungen und Vorstellungen zu haben. Wir sprachen darüber, wie lustig wir das Ultraschallverhalten fanden, was wir uns aufgrund der Bewegungen im Bauch vorstellten usw. Wir sprachen also nur über den möglichen Charakter des Babys und über das Wesen, das wir bis dahin erlebten. Irgendwann war uns dieses Baby mit seinen Verhaltensweisen, wenn man das so nennen möchte, so vertraut, ohne dass wir dabei auch nur in Versuchung gerieten an ein Geschlecht zu denken, geschweige denn daran, was das Geschlecht womöglich für eine spätere Zukunft bedeuten würde. Auch mein Mann, der zu Beginn glaubte, das Geschlecht würde die Schwangerschaft für ihn realer machen, fand es zu dem Zeitpunkt toll, das Geschlecht nicht zu kennen.

Wie schon gesagt, möchte ich damit nicht mal die Empfehlung geben, sich das Geschlecht nicht verraten lassen, ich möchte lediglich sagen: Durch die kleinsten Kleinigkeiten festigen sich in unseren Köpfen nun mal Bilder und Vorstellungen von Menschen und in Bezug auf das Geschlecht ist das das, was wir Doing Gender nennen. Ja, das Baby kommt mit irgendeinem biologischen Geschlecht auf die Welt, doch das ist alles. Alles andere wird von uns gemacht und ich für meinen Teil bin froh, dass unser Baby sehr lange Zeit einfach unser Baby mit seinem individuellen Wesen sein durfte, ohne dass – wenn auch unbewusst – geschlechterspezifische Erwartungen an es herangetragen wurden.

Möchtest Du Dich näher mit dem Thema Geschlechtersensibilität befassen? Dann ist vielleicht der Selbstlernkurs mit dem Namen Individualität statt Neutralität, bei dem es sich um die Aufzeichnung meiner schon angesprochenen Fortbildung handelt, etwas für Dich.

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