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Ich hab’s doch gut gemeint!

Hast Du diesen Satz schon mal gehört? Oder gesagt?

Hast Du schon erlebt, dass eine Person Dich auf eine Art und Weise behandelt hat, die Dir gar nicht gefallen hat, von der sie aber dachte, es sei in diesem Moment genau das Richtige? Passiert es Dir in Deinem Berufsalltag manchmal, dass Du denkst, etwas tun zu müssen, weil die Kinder genau das gerade brauchen?

Ich denke gerade in pädagogischen Berufen passiert genau das ganz häufig. Aber eben nicht nur da, sondern im Grunde überall und ständig. Da ich mehrere solcher Situationen in den letzten Tagen erlebt habe, folgen hier ein paar Gedanken zu dem Thema und auch ein paar Anregungen für den (pädagogischen) Alltag.

In der gewaltfreien Kommunikation von Marshall Rosenberg geht es grundsätzlich darum, dass es weder „richtig“ oder „falsch“ gibt. Die Annahme ist, dass Menschen immer genau das tun, was ihren eigenen Bedürfnissen entspricht und dass Konflikte eben daraus resultieren, dass sich Bedürfnisse auch mal vollkommen widersprechen. Aus diesem Grund ist die Klärung und Benennung von Bedürfnissen einer der ersten und wichtigsten Schritte bei der Konfliktklärung, sie führt zu gegenseitigem Verständnis und somit zum Verständnis für das jeweilige Handeln – Was nicht heißt, dass das Handeln somit als „richtig“ empfunden wird.

Jetzt geht es aber in der pädagogischen Praxis oder auch im Familienalltag nicht immer nur darum, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, sondern insbesondere darum, die Kinder und Jugendlichen bei der Bedürfniserfüllung zu unterstützen.  Die Schwierigkeit darin ist eben die, dass wir Erwachsenen nicht immer genau wissen, was die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen sind und dass wir demnach nach den von uns angenommenen Bedürfnissen agieren.

Ein Beispiel: Eine Mutter, die sich von ihrem Mann getrennt hat lernt nach einiger Zeit einen neuen Partner kennen. Sie hat gegenüber ihrem Sohn, der sehr an seinem Vater hängt und schwer mit der räumlichen Entfernung zu kämpfen hat, ein schlechtes Gewissen. Sie unterstützt also, dass er weiterhin viel Kontakt zu seinem Vater hat und möchte verhindern, dass er das Gefühl bekommt, durch den neuen Mann einen Vaterersatz vorgesetzt zu bekommen. Sie erklärt dem Jungen also immer wieder, dass sein Papa sein Papa bleibt und dass ihr neuer Mann keinerlei Erziehungsansprüche habe etc. Sie wünscht sich, dass sich für den Jungen nichts verändert. Sie nimmt an, dass das das Beste für ihn sei.

Durch das bewusste Trennen zwischen ihrem neuen Familienleben und dem Familienleben des Sohnes sorgt sie aber unbewusst dafür, dass die beiden keinerlei Chance haben, eine Beziehung aufzubauen. Der Junge betrachtet den neuen Partner seiner Mutter jahrelang als einen Fremdkörper, da ihm ja erklärt wurde, seine Anwesenheit würde für ihn nichts ändern.

Hat diese Frau richtig gehandelt?  Ich denke das ist nicht eindeutig zu beantworten, was unterstreicht, dass man eben nicht immer in die Kategorien richtig oder falsch einordnen kann.

Hat diese Frau im Sinne ihres Sohnes gehandelt?  Auch das ist nicht eindeutig zu sagen, weil weder sie noch wir genau sagen kann, was im Sinne des Jungen ist.

In jedem Fall kann man festhalten, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat und angenommen hat, im Sinne ihres Sohnes vorzugehen.

Das Ergebnis dieser Vorgehensweise ist möglicherweise eine gestörte Beziehung zwischen dem Jungen und ihrem neuen Partner und eventuell wäre das zu verhindern gewesen, indem die Mutter die Beiden ihren eigenen Weg hätte finden lassen. Vielleicht hätten sie sich sehr gut verstanden und der Junge hätte den Mann neben seinem Vater als einen Zugewinn für seine Familie betrachtet

Doch was ich sagen will: Selbst wenn die Frau diese Chance verhindert hat und selbst wenn die Lage der Patchwork-Familie ohne ihre Vorgehen „besser“ im Sinne von harmonischer gewesen wäre, so ist ihr meines Empfindens nach kein Vorwurf zu machen. Sie hatte die Intention, ihrem Sohn etwas Gutes zu tun und daran ist nichts verwerflich – im Gegenteil. Dennoch sind wir uns wahrscheinlich einig, dass solche vermeintlichen guten Ideen und Taten im Umgang mit Kindern und Jugendlichen idealerweise vermieden werden sollten. Wenn möglich sollten wir unsere „Pläne“ hintenanstellen und eben auf die Weise handeln, die den Kindern und Jugendlichen wirklich guttut. Aber wie?

Ich habe bereits vor einiger Zeit einen Blogbeitrag zum Thema „Zuhören“ geschrieben und genau das ist auch hier das zentrale Thema. Wir sollten zu allererst darauf hören, was die Kinder und Jugendlichen uns „sagen“ und dabei muss es nicht mal nur um die Verbalsprache gehen. Wenn wir die Bedürfnisse der Kinder herausfinden wollen und erfahren möchten, was sie wirklich brauchen, dann kann auch die Beobachtung ihres Verhaltens aufschlussreich sein.

Also:

1. Hört zu, wenn die Kinder und Jugendlichen Euch sagen was sie (nicht) wollen und wie es ihnen geht. Hört wirklich gut zu, fragt nach, vergewissert Euch, ob ihr verstanden habt, warum ihnen bestimmte Umstände bspw. Angst machen und fragt ganz konkret nach, was sie brauchen, damit es ihnen gut geht. In der Regel sind selbst kleine Kinder schon viel besser dazu in der Lage ihre Bedürfnisse auszudrücken, als wir oft annehmen.

2. Beobachtet die Reaktionen der Kinder, insbesondere im vorsprachlichen Alter oder auch beispielsweise bei Kindern und Jugendlichen, die aufgrund individueller Beeinträchtigungen keine Verbalsprache entwickelt haben. Wie verhalten sie sich in welcher Situation? Wie schauen sie, wenn sie bestimmte Dinge erleben? Was resultiert von ihrer Seite aus dem Verhalten der Erwachsenen?

3. Und denkt immer daran: Wir alle sehen die Welt aus unserer Perspektive. Eine Realität, also ein richtig oder falsch gibt es in diesem Sinne nicht. Unsere Realität ist immer eine Konstruktion aus unseren Erfahrungen und Interpretationen.

Fragt Euch also immer: Ist diese Situation wirklich so? Oder ist das mein Empfinden? Warum interpretiere ich sie auf diese Art und Weise? Wie könnte sie das jeweilige Kind interpretieren?

Es gibt niemals nur den einen Weg!

Und vielleicht kann dieses Gedankenspiel auch dazu führen, dass Ihr andere Menschen weniger für das aus eurer Perspektive „falsche“ Verhalten verurteilt – egal ob es Kinder, Kolleg*innen oder Familienmitglieder sind: Sie alle handeln nach ihren Bedürfnissen und Interpretationen oder eben nach dem, was ihnen „richtig“ erscheint.

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