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„Warum machst du das?“ statt „Mach das nicht!“

„Hör auf damit!“

„Wie oft soll ich dir das noch sagen? In der Schule ist Handyverbot!!“

„Hier wird nicht gehauen!“

Erwischt?

Klar, solche Sätze gehören zum Standard-Repertoire von uns Pädagog*innen. Ist ja auch logisch, Kinder und Jugendliche schaffen es immer wieder Grenzen zu überschreiten und sich nicht an Regeln zu halten, deshalb muss man sie regelmäßig an diese Regeln und Grenzen erinnern.

Aber psst, ich verrate Dir jetzt mal ein Geheimnis: Die Kinder und Jugendlichen wissen ganz genau, dass sie sich nicht hauen sollen und genauso gut wissen sie, dass sie ihre Handys in der Schule nicht benutzen dürfen. Sie machen es aber trotzdem.

Wie viele Male habe ich auf Fortbildungen schon gehört, dass die Kinder Regeln missachten, um zu provozieren? Unzählige Male.

Wie oft habe ich gehört, dass die Eltern Zuhause so viel durchgehen lassen und dass die Kinder es deshalb nicht schaffen, sich an Regeln zu halten? Mindestens genauso oft.

Ich sage Dir jetzt mal meine Meinung dazu.

Natürlich wissen die Kinder, wie sie sich im Optimalfall verhalten sollen. Sie haben aber in diesen Momenten, in denen sie sich regelwidrig oder grenzverletzend verhalten, Bedürfnisse, die stärker sind als das Wissen um die Regeln.

Hmm?

Ganz besonders auffällig ist es bei Kindern, die es meistens schaffen, sich an Regeln zu halten, es dann aber in bestimmten Situationen gar nicht klappt. In diesen Momenten sollten bei uns Pädagog*innen die Alarmglocken angehen und wir sollten uns fragen: Warum macht das Kind das jetzt?

Oder noch besser: Wir sollten das Kind fragen.

Häufig sind die Antworten, die man durch die ein oder andere geschickte Kommunikationstechnik schnell herausbekommt, simpel:

„Ich hatte gerade Streit mit einer Freundin und musste ihr deshalb eine Whatsapp schreiben.“

Noch eine Alarmglocke: „Ich musste…“

Natürlich muss niemand in der Fünf-Minuten-Pause Whatsapps schreiben, aber allein solche Formulierungen wie „Ich musste“ zeigen ganz klar die Perspektive der Kinder und Jugendlichen. Aus ihrer subjektiven Situation heraus MUSSTE sie diese Whatsapp nämlich jetzt schreiben. Bzw. nimmt sie ihre Situation so wahr.

Ist das nachvollziehbar?

In anderen Momenten oder vor allem bei jüngeren Kindern ist es vielleicht so, dass es für die Kinder nicht möglich ist, so klar zu formulieren warum sie sich gerade auf die unerwünschte Weise verhalten.

Vor einigen Tagen war ich an einer Schule und nachdem ich einer Lehrerin erzählt habe, dass auch die auffälligsten Kinder subjektiv betrachtet gute Gründe für ihr Verhalten haben, sagte sie mir: „Also er ist nur wegen einer schlechten Deutscharbeit ausgeflippt.“

Nur? Woher wissen wir denn, was diese schlechte Note für diesen Drittklässler bedeutet?

Vielleicht würde er sagen: „Ich habe solche Angst, dass ich Zuhause Ärger bekomme.“, oder „Ich fühle mich wie ein Versager, weil ich einfach nie gut genug bin.“

Ich denke es ist klar, was ich damit sagen will: Es liegt immer eine individuelle Ursache hinter dem Verhalten der Kinder und Jugendlichen und wenn wir diese kennen, können wir ihren Gemütszustand in der Regel auch verstehen.

Ihren Gemütszustand – nicht ihr Verhalten. Und das ist der Knackpunkt.

Auch wenn ich verstehen kann, dass sich ein Mädchen beispielsweise sowieso schon immer ungerecht behandelt fühlt, weil es ein kleines Geschwisterkind bekommen hat, das gefühlt immer bevorzugt wird und dass es jetzt gerade alles zu viel wird, weil die eine Freundin zu einem Geburtstag eingeladen wird und das Mädchen selbst nicht, heißt das noch nicht, dass regelwidriges oder grenzverletzendes Verhalten legitimiert wird. Ich möchte trotzdem nicht, dass die eingeladene Freundin deshalb geärgert wird.

Für die Praxis heißt das: Für mich als Pädagogin ist es wichtig, nie in eine Situation zu gehen und „Mach das nicht!“ zu sagen, sondern immer zu fragen: „Warum machst du das?“

Und ja ich weiß, besonders wenn bestimmte Kinder sich immer wieder auffällig verhalten, wird das irgendwann besonders schwer, aber es ändert nichts an der Situation: Auch dieses Kind hat „seine Gründe“.

Ich versuche also diese Gründe herauszufinden und in der Regel kann ich dann irgendwie verstehen, dass es sich um eine besondere Situation handelt und dass das Kind bestimmte Emotionen spürt. Mit diesen kann ich mich dann solidarisieren: „Mensch, wenn jemand etwas kaputt gemacht hat, woran ich gerade gebaut habe, dann fänd ich das aber auch ziemlich blöd.“

Was bringt eine solche Aussage? Einen totalen Zugewinn an Vertrauen und viele Pluspunkte auf der Ebene der Beziehungsarbeit.

Da ich aber wie gesagt trotzdem dafür verantwortlich bin, dass die Kinder friedlich miteinander umgehen, möchte ich das Verhalten trotzdem thematisieren: „Ich kann verstehen, dass es für dich blöd war, dass er deine Burg kaputt gemacht hat. Ich finde es trotzdem nicht gut, dass du ihn dann gehauen hast.“

Also: Mit dem Emotionen solidarisieren, aber das Verhalten als nicht in Ordnung klar machen.

Da die Kinder wie schon gesagt meistens wissen, dass das Verhalten so nicht okay war, bekommt man an dieser Stelle meist ein bedröppeltes Nicken zurück und ist schon einen ganzen Schritt weiter.

Natürlich kommt es jetzt auf die Situation an, manchmal „muss“ noch eine Konsequenz ausgesprochen werden und meistens lohnt sich auch ein Blick in die Zukunft: „Weil das ja jetzt ziemlich blöd für uns alle war und weil sowas ja nicht mehr vorkommen soll, möchte ich gerne mit dir zusammen überlegen, was wir machen, wenn sowas nochmal passiert.“

Manchen Kindern fallen dann Lösungen ein und manchmal sollte man ein wenig nachhelfen: „Meist du du kannst beim nächsten Mal gleich zu mir kommen, wenn sowas passiert? Dann können wir das zusammen klären.“

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